Barrierereduzierung – Anspruch auf Beschlussfassung über den Anbau eines Außenaufzugs in einer Wohnungseigentümergemeinschaft
- Das Gericht gibt einer zulässigen Beschlussersetzungsklage statt, wenn der vom Kläger begehrte Beschluss im Sinne des Gesetzes „notwendig“ ist.
Ein Beschluss ist notwendig, wenn der Kläger im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf den Beschluss hat.
- Für Maßnahmen der Barrierereduzierung, der Elektromobilität, des Einbruchsschutzes und des Glasfaserausbaus braucht es nicht den Willen der Mehrheit.
Jeder Eigentümer kann sie auf seine Kosten verlangen.
Derartige Maßnahmen liegen nach Ansicht des Gesetzgebers nicht nur im besonderen Interesse des einzelnen Wohnungseigentümers, sondern im gesamtgesellschaftlichen Interesse.
- Barrierereduzierung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG ist weit zu verstehen und erstreckt sich auf alle Maßnahmen, die für eine Nutzung durch körperlich oder geistig eingeschränkte Personen auch nur förderlich sind. Auf die individuelle Betroffenheit des Wohnungseigentümers, seiner Angehörigen oder Mieter kommt es nach dem Willen des Gesetzgebers nicht an.
Barrierereduzierende Maßnahmen können anlasslos verlangt werden.
Damit soll einerseits Streitigkeiten über die Notwendigkeit im Einzelfall vermieden und andererseits dem gesamtgesellschaftlichen Bedürfnis nach barriereduziertem Wohnraum Rechnung getragen werden.
- Hinter dem Verbot der grundlegenden Umgestaltung i.S.v. § 20 Abs. 4 WEG liegt der Gedanke, dass der Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums wegen der Beschlusskompetenz des § 20 Abs. 1 WEG zwar nicht mehrheitsfest ist, es aber einen Kernbereich gibt, den jeder Wohnungseigentümer auch gegen den Willen der Mehrheit verteidigen kann. Unter den Begriff der grundlegenden Umgestaltung kann der Anbau eines Außenaufzugs etwa dann subsumiert werden, wenn dadurch die Fassade eines Stuckaltbaus zerstört oder erheblich umgestaltet wird.
So das
LG München I, Urteil vom 08.12.2022 – 36 S 3944/22 WEG
vorhergehend:
AG München, 10.02.2022 – 1294 C 13970/21
§ 20 BGB Bauliche Veränderungen
„(1) Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.
(2) Jeder Wohnungseigentümer kann angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die
1. dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen,
2. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge,
3. dem Einbruchsschutz und
4. dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität
dienen. Über die Durchführung ist im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu beschließen.
(3) Unbeschadet des Absatzes 2 kann jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer, deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden, einverstanden sind.
(4) Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, dürfen nicht beschlossen und gestattet werden; sie können auch nicht verlangt werden.“
Quelle: LG München I, Urteil vom 08.12.2022 – 36 S 3944/22 WEG
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