Mehrheitseigentümer darf bei Abstimmung nicht einfach ignoriert werden
Tatbestand
Die Wohnungseigentümer können bei Abstimmung durch Vereinbarung hinsichtlich der für die Mehrheitsberechnung maßgeblichen Stimmkraft anstelle des gesetzlich vorgesehenen Kopfprinzips auch z. B. das Objektprinzip anordnen
Die Klägerin ist als Eigentümerin mehrerer Einheiten Mitglied der beklagten WEG. Nach der Berechnung in der Teilungserklärung stehen ihr für die in ihrem Eigentum stehenden Einheiten 2.752 der insgesamt 3.317 Stimmen zu.
Die geltende Gemeinschaftsordnung enthält u.a. folgende Regelung:
„§ 11 Gemeinschaftsordnung:
1. […] „Es stehen zu:
a. 10 Stimmen jedem Wohnungseigentümer und jedem Gewerbe-Teileigentum,
b. 1 Stimme jedem Teileigentum Kfz-Abstellplatz“ […]“
Vor der Eigentümerversammlung am 28.10.2022 erteilte die Klägerin der Hausverwaltung eine gebundene Vollmacht u.a. dahingehend, dass zu TOP 01.1. mit „Nein“ abgestimmt werden sollte, ferner zu den vorgeschlagenen TOP 01.2.3 und 01.2.4 mit „Ja“. Laut Protokoll der Eigentümerversammlung vom 28.10.2022 wurde unter TOP 01.1. folgender Beschluss gefasst:
„Die Eigentümergemeinschaft bestellt die B. GmbH für die Zeit vom 01.01.2023 – 31.12.2025 zur Verwalterin gemäß § 26 WEG.
Der derzeit vereinbarte Verwaltervertrag wird inhaltsgleich über den 01.01.2023 hinaus bis zum 31.12.2025 fortgesetzt, wobei folgende Änderungen vereinbart werden: […]
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen: einstimmig Enthaltungen: 1 Nein-Stimmen: 0
Darüber hinaus liegt eine Nein-Stimme des Mehrheitseigentümers K. vor. Laut weisungsgebundener Vollmacht soll die S. GmbH zum Verwalter bestellt werden. Diese Stimmabgabe ist jedoch bereits wegen einer Stimmrechtsmajorisierung unwirksam, da der Mehrheitseigentümer insoweit Sonderinteressen verfolgt und sich mit seinem Stimmenübergewicht über den mehrheitlichen Willen aller anderen Eigentümer „nach Köpfen“ hinwegsetzen möchte. Ferner liegen für eine Neubestellung eines Verwalters anstelle der erforderlichen 3 Vergleichsangebote nur 2 Angebote vor. Hinzu kommt, dass die vom Mehrheitseigentümer vorgeschlagene S. GmbH zur heutigen Versammlung nicht erschienen ist, sich nicht vorgestellt hat und gegenüber der WEG kein Angebot zur Bestellung und Abschluss eines Verwaltervertrags abgegeben hat; vielmehr liegt insoweit nur ein Vorschlag des Mehrheitseigentümers vor, die S. zu bestellen.
Somit ist die B. gemäß Beschlussantrag zu TOP 1.1 einstimmig zur Verwalterin für drei Jahre (01.01.2023-31.12.2025) bestellt worden.“
Zu TOP 01.2 enthält das Protokoll folgende Angaben:
„TOP 01.2 Neuwahl der Fa. S. zur Verwalterin die Mehrheitseigentümerin K. schlägt als neue Verwalterin die Fa. S. vor. Vertragslaufzeit 01.01.2023 bis 31.12.2025.
Basisvergütung monatlich:
[…]
Der Vertragsentwurf nebst Anlagen kann jederzeit im Eigentümerportal eingesehen werden. Bei Bedarf kann er gerne auch bei der Verwaltung angefragt werden. Die Mehrheitseigentümerin K. bittet hierzu um folgende 5 Beschlüsse:
siehe hierzu nachfolgende Unter-TOPs 1.2.1 bis 1.2.5 (sind wortgleich hier aufgenommen). Keine Beschlussfassung (siehe hierzu TOP 01.1).“
Entscheidung
- Die Wohnungseigentümer können bei Abstimmung durch Vereinbarung hinsichtlich der für die Mehrheitsberechnung maßgeblichen Stimmkraft anstelle des gesetzlich vorgesehenen Kopfprinzips auch z. B. das Objektprinzip anordnen.
- Die bloße Gefahr der Majorisierung bei Abstimmung führt nicht zur Unzulässigkeit des Objektprinzips, weil die betroffenen Wohnungseigentümer durch die Möglichkeit der Anfechtung der im Einzelfall gefassten Beschlüsse vor rechtsmissbräuchlichem Abstimmungsverhalten des Mehrheitseigentümers geschützt werden.
- Die übrigen Wohnungseigentümer sind jedoch unabhängig von dieser Rechtsschutzmöglichkeit dann vor der Mehrheitsentscheidung eines einzelnen Mehrheitseigentümers zu schützen, wenn dieser seine Mehrheitsmacht bei Abstimmungrechtsmissbräuchlich ausübt.
- Für die Annahme einer Majorisierung muss die Art und Weise der Stimmrechtsausübung die übrigen Wohnungseigentümer so offenkundig und ohne jeden Zweifel in treuwidriger Weise benachteiligen, dass der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens nicht abgewartet werden kann.
- Majorisierende Beschlüsse können dabei insbesondere unter dem Blickwinkel der Willkür, des Rechtsmissbrauchs oder einer unbilligen Benachteiligung Einzelner ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen.
- Die Stimmabgabe eines Mehrheitseigentümers ist auch dann nicht unwirksam, wenn er trotz drohender Verwalterlosigkeit die Verwalterbestellung blockiert.
- Die Klage auf Ungültigerklärung des zu Unrecht festgestellten negativen Beschlusses ist mit der Klage auf „Feststellung“ eines positiven Beschlusses zu verbinden, wenn die erfolgreiche Anfechtung des „negativen“ Beschlusses allein nicht zu einem positiven Beschluss im Sinne des wahren Beschlussergebnisses bei Berücksichtigung der zu Unrecht ausgeschlossenen Stimmen führt.
So das
AG München, Urteil vom 15.11.2023 – 1295 C 16480/22 WEG (nicht rechtskräftig)
Quelle: AG München, Urteil vom 15.11.2023 – 1295 C 16480/22 WEG
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